Oma
Es war ja schon fast was besonders. Pünktlich zum Feierabend gehen. Kein Gespräch, keine Dienstbesprechung. Ein seltenes Ereignis in den letzten 3 Wochen.
So hatte ich tatsächlich mal die Ruhe und Zeit die Terrasse zu genießen. Bepackt mit einem Karton Briefe. Eine der beiden Kartons, die ich beim letzten Mal mitgenommen habe. Gottseidank.
Die Briefe sind aufschlußreich. Sie erzählen unter anderem von der Zeit kurz vor Omas und Opas Hochzeit, frisch verliebt und noch im Kennenlernen.
Andere Briefe erzählen von einem Kuraufenthalt Anfang der 70er von Opa. Er nannte sie liebvoll "Silberbraut". Ein reger Briefaustausch von beiden aus einer Zeit wo Telefonieren noch teuer war und man sich kurz fasste.
Es war spannend in die Zeit einzutauchen. Briefe ohne "Gift" lesen zu können. Beide so verliebt zu spüren, neugierig auf den anderen , voller Optimismus für eine gemeinsame Zukunft. Beide Schriften sind anstrengend zu lesen, teils eben doch noch die "alte" Schrift. Nun bin ich müde. Aber ich freue mich schon jetzt auf das nächste Mal.
Heute fahren wir hoffentlich das letzte mal in eine gefüllte Wohnung.
Wie es dann in mir ausschaut will ich noch gar nicht wissen. Das ist schon ein sehr sehr merkwürdiges Gefühl.
Den Stein der Erleichterung wird man wohl ende nächster Woche plumsen hören. Doch das ist ja nur die eine Seite der Gefühle.
Meine Grenze ist definitiv erreicht und es kann nur besser werden.
Aus einem Brief an eine Bekannte von Oma:
Vorhin waren wir in Omas Wohnung. Wir haben nun gesagt, einen Tag am Wochenende fahren wir in die Wohnung und ein Tag ist für uns. Ich werde sonst "wahnsinnig". Ich habe den Anspruch alles richtig zu machen mit der Wohnungsauflösung, den Lebenden und Oma gerecht zu werden. Dieser Anspruch ist hoch und scheint mir arg zu schaffen zu machen.
Ich haddere mit mir was ich wirklich weggeben oder wegschmeissen kann, und was ich aufheben möchte, aufheben sollte. Wir haben zwar ein Haus, doch auch dieser Platz ist begrenzt.
Es ist eben doch so, dass man wohl normalerweise erst etwas später sich mit solchen Themen auseinandersetzen soll. Durch unsere Familiengeschichte ist eine Generation ausgelassen. Das scheint auch für Umstehende merkwürdig zu sein. Am Telefon verplappern sich viele und korrigieren sich, da sie von meiner Mutter sprechen und Oma meinen.
Heute kam ich nicht richtig vorwärts. Irgendwie scheint es nicht weniger zu werden.
Die letzten 2 Stunden saß ich auf der Terrasse mit einem Umzugskarton mit Fotos.
So saß ich da und sortierte. Was hat mit meinem Leben etwas zu tun, oder wo ist Oma schön drauf getroffen. Ich plane ein Album zu machen von Oma, mit Fotos aus ihrem Leben. Ich mache da ja bei 94 Jahren nur einen kleinen Teil aus.
Gestern war es eine Ledertasche mit der kompletten Kondolenzpost damals von Opas Tod. So viele Briefe! Hätte ich nicht selbst eine Kiste mit den Briefen von Papas Tod, ich hätte mich gefragt, warum sie sie alle aufgehoben hat. So verstehe ich das.
Und mir ist aufgefallen, das es nur eine Handvoll wirklich persönlicher Briefe gibt.
Nun wühle ich mich noch durch ein paare weitere Fotos und gehe dann zum Lesen ins Bett. Abschalten braucht ja auch seien Zeit.
Und wieder was dazugelernt:
9 Regeln für Trauerbekundungen:
http://www.experto.de/b2b/kommunikation/korrespondenz/so-formulieren-sie-einen-kondolenzbrief.html
besonders interessant:
"Immer wieder sieht man Kondolenzbriefe mit schwarzem Trauerrahmen. Der schwarze Rand ist jedoch Briefen aus dem Trauerhaus vorbehalten, etwa der Einladung zur Beerdigung."
Gestört hat es mich nicht. Aber ich habe mich gefragt, wieso man die Post überhaupt markiert. Ist es, um den Empfänger vorzuwarnen?
Interessant fand ich, wie manche Menschen es schaffen einen Brief zu verschicken, den man - je nach Bedarf - zeitgleich auch an andere Menschen schicken könnte und dann gibt es Menschen, die mit einem Satz, soviel persönliches Aussagen können, das es einfach echt wirkt.
Warum muß eigentlich alles, was mit den letzten Bildern von Oma zu tun hat schiefgehen.
Das Din 4 Bild für die Trauerfeier kam nicht pünktlich an, sodass ich nochmal morgens hinfuhr , um es vor Ort ausdrucken zu lassen. Dort streikte erst der USB-Schacht, dann die Druckerpatrone.
Nun sind die Danksagungskarten verloren gegangen. Ein Suchauftrag würde länger dauern, als es nochmal neu bestellen, meinte die nette Dame. Die kann ja nix dafür.
*brummel*
Nervennahrung aus Berlin. Wie schön! Man kann so viel tun, auch wenn man gar nicht vor Ort ist. Das ist echt schön zu erleben.
Wir haben Zeugnisse gefunden, Entnazifizierungsdokumente, erste Gehaltsscheine, Anwaltspapiere, Ahnenbeschreibungen, Bilder, Fotos. Das ist phasenweise echt spannend und motiviert auch später in die mitgenommenen Kisten wieder hineinzuschauen.
Die Geburtstagsfeier bei J+D gestern habe ich mehr passiv erlebt. ich war da, spürte Flo immer bei mir, lachte ab und zu und gab selten meinen Senf dazu. Die meiste Zeit hörte ich zu, später mit geschlossenen Augen. Mit den Ohren kreiste ich in der Rund herum, hörte mal hier und mal da zu. Ich war zu müde, zu erschlagen, erschöpft und auch Traurig um mich aktiv dran zu beteiligen.
Die Beerdigung war ein großer Schritt. Rundherum bekam ich positive Resonanz. Mein Ziel einen würdigen Abschluß, gleichsam aber auch die polarisierenden Erinnerungen zusammenzufassen ist mir scheinbar gelungen. Und es gab auch Schmunzler.
Notar, Banken, dies alles ist am Laufen. Nun geht es in der Wohnung weiter.
Vieles aus der Wohnung geht an wirklich Bedürftige. Selbst Angefangene Cremetuben und Parfümflaschen fanden dankbare Abnehmer. Ich bin froh, wenn es Anfragen aus dem Bekanntenkreis gibt, die ein kleines Erinnerungsstück haben möchten.
10 Kisten mit Briefen, Dokumenten und anderem Papierkram sind schon gefüllt. Und das ist noch nicht alles.
Gestern Abend als es dunkel wurde habe ich mich plötzlich gegruselt. Ich bat Flo, der am Kisten ins Auto tragen war, wieder in die Wohnung zu kommen. So reagiere ich selten. Diese Wohnung ist voller negativer Energie. Ob real oder eingebildet sei dahingestellt. Mir war es unheimlich und schlafen könne ich dort keine Nacht mehr.
Stundenlang waren wir gestern in der Wohnung. Räumten sortierten, schmissen weg, stellten zu Seite. Für die Schwiegereltern und Flo war es eine Bilder und Papierflut. Bei mir kamen genau viele Erinnerungen.
wir schauten Bilder an, lasen uns gegenseitig was vor.
Zwischendrin benachrichtigte ich immer wieder Bekannte. Pizzakartons waren in dieser Wohnung wohl vor dieser Woche noch nie gewesen. wir inhalierten sie, fast am Unterzuckern.
auch gestern tauchten wieder "Engelchen" auf. - Alltagsengel. Menschen die ihre Hilfe anbieten und produktiv sind.
Wir brauchen viele Dinge nicht wegschnmeissen, sondern haben viele Bedürftige, die sich noch drüber freuen. Das macht es leichter.
Spät am Abend erreichte ich endlich die Familie in Florida. Ihre stimme zu hören war so schön. Ich rief Flo ans Telefon und wir telefonierten mit Lautsprecher. Bilder erschienen vor meinem geistigen Auge. Ganz viel Erinnerungne an Florida und mein Urlaub dort. Und nun sind wir gemeinsam dort willkommen. "Mensch, ist die nett" Meinte Flo hinterher. Wir wollen wieder Kontakt halten. Haben nun endlich die funktionierende Emailadresse. Oma wird lächelnd von der Wolke herunterschauen, wenn sie das sieht. Sie hat Kontakte nicht nur gepflegt, sie hat sie geknüpft und andere verbunden. Und Florida ist Familie. Der Tod scheint zu verbinden. Das habe ich vor drei Jahren schon bei Papa ganz intensiv erleben können.
Die Rede ist fast fertig, die Karten auch. Termine mit Notar, Pfarrer und der Bank folgen. Es ist am laufen.
Ein Brille, ein Glas Wasser, diverse Adresslisten und Namen, eine Aufgabenliste, ein Füller, eine Uhr und 2 Telefone.
Das Bild beschreibt glaube recht gut, was hier gerade passiert.
mußte eben herhalten als Frustverniedlichung nach Omas Besuch.
sie hat eben Sätze abgelassen das ich nach 5 Minuten gerne wieder gefahren wäre.
"Ach und alle sind sie weg, der O., der Sch, die Tante S. , der M., der Herr J., die Frau P.. Was soll ich noch hier?"
Meine Reaktion nach der Tirade, die immer völlig aus dem Zusammenhang kommt und sich ohne Veränderung immer und immer wieder abspielt, von Besuch zu Besuch, egal welche Jahreszeit, oder Wochentag war:
"Oma, wenn es soweit wäre, ich würde dich nicht aufhalten. Aber meine Entscheidung ist es nicht."
Der Sonnenblumenstrauß schaut wirklich schön aus, besonders wenn das letzte Sonnenlicht des Tages durch die Fenster genau auf die Blüten strahlt.